JA! I do!


Ich dachte, ich hätte in meiner 25-jährigen Dolmetscher-Laufbahn schon mehr oder weniger alle Kontexte, in denen man dolmetschen kann, erlebt. Weit gefehlt: Anfang September bekam ich den Auftrag, in der Marienkirche auf dem Alexanderplatz einen Hochzeitsgottesdienst zu dolmetschen. Aber eins nach dem anderen:

Mitte August erreichte mich der Anruf einer Kollegin, die mir in zwei Minuten skizzierte, dass sie eine Anfrage für das Dolmetschen von vier oder fünf Reden auf einer deutsch-amerikanischen Hochzeitsfeier bekommen hätte. „Das ist absolut nichts für mich. Hast Du Interesse daran?“, waren ihre Worte, die noch in meinen Ohren nachhallten, als ich mich bereits am Telefon mit dem überaus sympathischen Kunden, dem zukünftigen Bräutigam, wiederfand.

Einen Skype-Call und diverse Telefonate später hatte ich nicht nur der Verdolmetschung der Tischreden auf der Hochzeitsfeier am Abend zugestimmt, sondern auch mit dem Pfarrer vereinbart, den gesamten Gottesdienst am Nachmittag konsekutiv ins Englische zu dolmetschen. Bei dem Gedanken war mir zugegeben nicht ganz wohl; andererseits reizte es mich, da man ja sprichwörtlich an seinen Herausforderungen wächst.

Dolmtescheinsatz bei deutsch-amerikanischer Hochzeit

Foto: Mila Flad

Ich habe mich selten auf einen Dolmetscheinsatz emotional und inhaltlich so intensiv vorbereitet wie auf diesen 60-minütigen Gottesdienst. Der Pfarrer und ich telefonierten mehrmals im Vorfeld, um den Ablauf genau durchzugehen. Neben all den sprachlichen und kulturellen Aspekten, die wir natürlich berücksichtigen mussten, war es sehr spannend für mich zu sehen, was durch die religiöse Form der Trauung sich für besondere Aufgaben stellten. Zum Beispiel: Kann ich als Dolmetscherin das Trauversprechen auf Englisch vorsprechen? Das fühlte sich merkwürdig für mich an, sodass wir uns darauf einigten, dass ich dem Pfarrer das Trauversprechen vorab ins Englische übersetze und er es dann auf Englisch nachspricht.

Alles lief wunderbar! Es war eine beeindruckende Erfahrung! Die Marienkirche wirkte wunderschön hell an diesem Tag (ich kannte sie noch aus den 1990er Jahren, als ich mit russischen Gruppen im Rahmen von Stadtrundfahrten in der Kirche war – da wirkte sie immer eher ein wenig düster auf mich…). Der Pfarrer hatte mir am Vortag der Hochzeit bei einer Tonprobe in der Kirche gezeigt, wie man die Kirche mit seiner Stimme über das Mikrophon „für sich erobert“. Ein wertvoller Tipp und eine ganz neue Erfahrung: Die Kirche als riesiger Klangraum „gehörte mir“, als ich dolmetschte.

Am Abend wurde dann im Hotel de Rome mit allen Gästen groß gefeiert. Zwischen jedem Gang des Festessens wurde entweder eine deutsche oder eine englische Rede gehalten. Ich dolmetschte flüstersimultan mit einer Anlage und war voll in meinem Element (nicht zuletzt wegen des deutsch-amerikanischen Kontexts, der mir aufgrund meiner eigenen Biografie so nah und vertraut ist), und ich genoss jedes Wort dieser fünf höchst niveau- und humorvollen Reden.

„Was für einen fantastischen Beruf ich habe“, ging es mir durch den Kopf, als ich nachts glücklich und erschöpft nach Hause lief und das Festival of Lights die Berliner Gebäude anstrahlte. I do!

» Hier erfahren Sie mehr darüber, was Konsekutivdolmetschen und Flüsterdolmetschen ist.